T. Giddey: Histoire de la regulation des banques en Suisse (1914–1972)

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Titel
Histoire de la regulation des banques en Suisse (1914–1972).


Autor(en)
Giddey, Thibaud
Reihe
Publications d’histoire économique et sociale internationale (41)
Erschienen
Gend 2019: Librairie Droz S.A.
Anzahl Seiten
576 S.
von
Tobias Straumann, Department of Economics / Economic History, ETH Zürich

Die Finanzkrise von 2008 hat nicht nur auf schmerzhafte Weise wirtschaftswissenschaftliche Gewissheiten erschüttert, sondern auch eine erfreuliche Renaissance der Finanzgeschichte herbeigeführt. Vor allem die Frage, warum die Banken am Vorabend der Krise nur noch mit minimalen Eigenmitteln ausgestattet waren, hat eine Explosion an Studien zur Geschichte der Finanzstabilität ausgelöst. Die Lausanner Dissertation von Thibaud Giddey über die Geschichte der Bankenaufsicht in der Schweiz von 1914 bis 1972 gehört in diesen Forschungskontext. Die Schweiz ist ein interessanter Fall, denn hier herrschte ein besonders liberales Regime in den Jahrzehnten nach der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, während die meisten Länder mit weitreichenden Gesetzen auf die grossen Bankenzusammenbrüche jener Zeit reagiert hatten.

Die Darstellung ist in zwei grosse Perioden eingeteilt. Die erste Periode umfasst die Zeit von den ersten Gesetzesarbeiten des Basler Ökonomieprofessors Julius Landmann im Anschluss an die grosse Regionalbankenkrise von 1911 bis 1914 bis zur Verabschiedung des ersten eidgenössischen Bankengesetzes im November 1934 und der entsprechenden Verordnung im Februar 1935. Giddey beschreibt den Inhalt von Landmanns Regulierungskonzept und sein Scheitern angesichts des starken Bankenwiderstands, rekapituliert die Bankenkrisen der 1930er Jahre, zeichnet die einzelnen Etappen des Gesetzgebungsprozesses nach und erklärt das liberale Aufsichtsregime, das 1935 installiert wurde. Für Giddey handelt es sich beim Bankengesetz um ein «apaisement peu restrictive» (S. 225).

Die zweite Periode umfasst die Jahre von 1935 bis zur ersten Revision des Bankegesetzes 1972. Giddey erstellt zunächst eine kurze Kollektivbiografie, konzentriert sich aber danach ganz auf die Aufsichtspraxis der Eidgenössischen Bankenkommission (EBK), die durch das Bankengesetz von 1934 geschaffen wurde. Er unterscheidet vier Phasen. Die erste Phase dauerte von 1935 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, von Giddey als schwierige Anfangszeit bezeichnet, da die Bankenkommission zunächst einmal ihren Platz finden und behaupten musste. Die zweite Phase erstreckte sich vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die frühen 1960er Jahre. Sie war durch eine grosse Ruhe charakterisiert. Die dritte Phase, welche die erste Hälfte der 1960er Jahre abdeckt, war demgegenüber von einer wachsenden Unruhe geprägt. Der Finanzplatz Schweiz zog in dieser Zeit viele ausländische Investoren an, die skandalträchtige Geschäfte betrieben, was die Aufsicht überforderte. Die vierte Phase umfasst die Zeit von der Mitte der 1960er Jahre bis zur ersten Revision des Bankengesetzes 1971, das wohl eine gewisse Stärkung der Aufsicht vorsah, die liberalen Parameter der schweizerischen Bankenaufsicht aber kaum veränderte.

In den abschliessenden Bemerkungen hebt Giddey drei Punkte hervor. Erstens weist er auf den zyklischen Charakter der Regulierung hin. Handlungsbedarf entstand immer nur im Nachgang von grösseren Bankenkrisen, Skandalen oder Innovationen. Zweitens sieht Giddey die Abneigung der Bankenvertreter gegen neue Regulierungen nicht nur durch ihre generelle Abneigung gegen weitergehende Regulierung begründet, sondern auch dadurch, dass sie selbst ihren bürgerlichen Verbündeten im Parlament nicht ganz trauten. Drittens unterstreicht Giddey die besondere institutionelle Konstruktion, die im Bankengesetz von 1934 vorgenommen wurde. Die Bankenkommission war demnach keine normale Bundesbehörde, sondern war ausserhalb der Bundesverwaltung angesiedelt und verfügte über einen Verwaltungsrat von Praktikern. Davon ausgehend konstatiert Giddey, dass es nicht korrekt sei, die zurückhaltende schweizerische Regulierung mit dem Konzept der «Regulatory Capture» zu erklären. Denn in der Phase von 1935 bis 1971 mussten die Banken nicht durch allerlei Schachzüge die Gunst der Aufsichtsbehörde sichern. Vielmehr verstand sich die Bankenkommission als eine Instanz, die selber die Interessen des Finanzplatzes reflektierte und ihre Aufsicht entsprechend darauf ausrichtete.

Nicht nur diese scharfsinnige Beobachtung zeigt, dass es sich bei Giddeys Dissertation um eine äusserst differenzierte historische Analyse handelt. In vorbildlicher Weise werden Theorie, Literatur und Empirie miteinander verwoben. Zudem hat Giddey keine Mühe gescheut, alle relevanten Quellen aufzustöbern. Die Studie wird sich ohne Zweifel bald als Standardwerk der schweizerischen Bankengeschichte etablieren. Giddey ist der erste Historiker, der nicht nur die politischen Prozesse, Gesetze und Verordnungen genau studiert hat, sondern auch die effektive Praxis der Bankenaufsicht beschreibt.

Nicht alle Kapitel sind allerdings gleich originell. Im ersten Teil, der die Geschichte bis zum Bankengesetz von 1934 behandelt, wird vieles beschrieben, was in den Grundzügen schon bekannt ist. Die Darstellung besticht hier mehr durch ihre Präzision und ihren Detaillierungsgrad. Im zweiten Teil hingegen betritt Giddey über weite Strecken Neuland. Etwas zu kurz gekommen ist dafür die internationale Dimension. Finanzstabilität wird ja zu einem wesentlichen Teil durch die grossen Finanzplätze und ihre Aufsichtsbehörden als öffentliches Gut zur Verfügung gestellt. Nur vor diesem Hintergrund ist es möglich zu verstehen, warum die schweizerische Regulierung so zurückhaltend sein konnte und sich der schweizerische Bankensektor zwischen 1945 und 1972 weitgehend krisenfrei entwickeln konnte. Wichtige Fragen sind also selbst nach Giddeys Studie noch nicht beantwortet.

Zitierweise:
Straumann, Tobias: Rezension zu: Giddey, Thibaud: Histoire de la regulation des banques en Suisse (1914–1972), Genf 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (3), 2021, S. 563-564. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00093>.